Ich weiß, es mag lächerlich klingen, aber immer wieder bohrt sich der Wurm in mein Ohr, wenn ich hier oben stehe. Es liegt zwar meistens ein Jahr dazwischen, bis ich an diesen Ort zurückkehre, aber der Ohrwurm wartet schon auf mich. Es geht um Reinhard Meys „Über den Wolken…“. Die Geschichte ist banal, das Wiedersehen mit diesem Ort fast zweieinhalbtausend Meter über dem Meer dagegen immer wieder ein tiefgreifendes Erlebnis. Den Blick von oben auf Wolken kennt man zwar aus dem Flugzeugfenster, hier aber stehen wir fest auf dem Boden und blicken hinab auf das wandernde Wolkenmeer.
Gerade waren wir noch unten fast auf Meereshöhe in dem verschlafen-verlassenen Ort, das nur noch sechzehn Seelen ein Dorf sein lassen, und jetzt stehen wir hier oben, wo es keinen Schritt mehr höher geht. 2426 Meter Erhabenheit öffnen den Blick auf die umliegenden Inseln Hierro, Gomera und Teneriffa, wo Spaniens höchster Berg Teide stolz mit 3718 Metern im flimmernden Licht liegt.
Einige hundert Meter über der Baumgrenze schweift unser Blick in alle Himmelsrichtungen über die scheinbare Unendlichkeit des Meeres. Flammende Reflexe der Sonne, Kolosse von Wolkenbergen und gewaltige Bergmassive, getrennt von tiefen Schluchten. Alles gehüllt in das markante Abendlicht, das alle Formen und Flächen zum Leuchten und Strahlen bringt. Fotografenherz, was willst Du mehr….?
Der Blick vom Los Muchachos ist im wahrsten Sinne der Höhepunkt einer La Palma-Reise. Nicht nur gemessen an Höhenmetern, sondern auch im Spektrum der Gefühlsskala. Er ist sozusagen der höchste der Ort auf dieser Insel, die mit ihrer Vielfalt und ihren Kontrasten immer wieder überrascht.
Vom Gipfel an die Küste
Knurrt auf dem Gipfel des Los Muchados beim intensiven Lichteinfangen der Magen, so kann dem schon nach einer knappen Stunde Serpentinenfahrt abwärts mit einem köstlich zubereiteten Fisch auf Meereshöhe begegnet werden. Hat man die traumhaften Naturwälder des Nordens mit ihrem intensiven Duft aus Erde und Blumen Richtung Süden verlassen, ist man mit dem Auto schon nach eineinhalb Stunden in einer anderen Welt. Im Süden breiten sich dann am äußersten Zipfel der Insel Vulkankegel aus in einer kargen und doch markanten Landschaft.
Den südlichsten dieser kargen Trichter aus erloschener Lava besteigen wir und werden belohnt mit einem Blick über die schwarze Weite, die spärlich aber markant geschmückt ist mit bunten Büschen und Blumen. Wir erkennen weit unter uns die Salinenfelder, in denen das begehrte Meersalz gewonnen wird. Markant ragen ein alter und ein modernen Leuchtturm in die Höhe, die weit unter uns liegt. Wir erkennen die Gischt der aufs Ufer stürzenden Wellen und einige Windräder, die hier reichlich Antriebskraft finden.
Wir schauen uns den Südzipfel der Insel danach aus der Nähe an und hören nun auch die meterhohen Brecher, die gegen die schroffen Lavafelsen krachen. Die geometrisch angelegten Salinenflelder bieten spannende grafische Konstruktionen, die uns unzählige Gestaltungskonstellationen bieten.
Lichtreflexionen in Wolken und Wasser
Und dann nähert sich der rote Sonnenball über dem weiten Meer dem Horizont und wir erleben ein wahres Lichtspektakel. Die klare Luft, die weite Sicht und die mächtigen Wolken bieten uns ein tiefgehendes Schauspiel. Fast im Sekundentakt wandelt sich das Bild durch die Lichtreflexionen in den Wolken und dem Wasser. Wunderbar…
Tags darauf machen wir uns auf in den Nordosten der Insel. Nach einem kurzen Stopp in dem Küstendörfchen St. Andres besuchen wir das Meerwasserbad Charcot Azul. Wir genießen ein Bad im Atlantikwasser des mit einer Mauer vom Meer getrennten Bassin. Bei Hochwasser schwappen die Wellen über die Abtrennung und versorgen das Becken mit frischem Salzwasser.
Zum Abschluss fahren wir landeinwärts in das Biosphärenreservat Los Tilos, einem der größten Lorbeerwälder. Die dichten Baumkronen lassen nur wenig Licht in den „Märchenwald“. Trotzdem fotografieren wir wunderschöne Farne, Blätter und Blumen.
Den Abend des Tages verbringen wir in der Insel-Hauptstadt Santa Cruz, in dem wir interessante Available-Light-Motive finden.
In unserer Unterkunft mit freiem Blick auf das unendliche Meer finden wir die Muße, unsere Bilder des Vortages zu bearbeiten. Bei Bildbesprechungen geben die Referenten Tipps zur besseren Bildgestaltung.
Bilder: Bernd Kupper und Manfred Horender